Autor

Timo Hahner

Fitness, 15. Januar 2019

Sportwissenschaftler und leidenschaftlicher Eisensportler. Liebevoll OTL-Professor genannt.
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Dehnen vor oder nach dem Training?

Dehnen vor oder nach dem Training?

Das Dehnen stellt eine allseits bekannte Möglichkeit zur Verbesserung der Beweglichkeit dar – Doch sobald es an die regelmäßige Umsetzung geht, kommen einige Fragen und Unklarheiten auf. Denn Faktoren wie Art, Häufigkeit und genaue Durchführung des Dehnens können je nach Zielsetzung auch unterschiedlich verfolgt werden. Und spätestens wenn es um die Frage nach dem Dehnen vor oder nach dem Training geht, scheiden sich die Geister. Dies und noch viel mehr wird dir in diesem Artikel detailliert beantwortet.

Was passiert beim Dehnen?

Beweglichkeit ist ein Teil der motorischen Grundeigenschaften und wird definiert als die Fähigkeit, Bewegungen mit großer bzw. optimaler Schwingungsweite der Gelenke/Sehnen/Muskeln auszuführen. Demnach sind limitierende Faktoren unter anderem die Sehnen und deine Muskulatur – Letztere kann gezielt beeinflusst werden, denn hier kommt das Dehnen zum Einsatz. Wenn du dich dehnst, verformt sich das Muskelgewebe: Es wird in die Länge gezogen. In abgeschwächter Version funktioniert das auch mit den passiven Strukturen wie Sehnen/Bändern. Ziel ist es damit, die Muskelsteifigkeit kurzfristig und die Beweglichkeit langfristig zu verbessern. 

Dabei kommt es jedoch besonders auf die verschiedenen Arten des Dehnens an, weshalb diese nun genau vorgestellt werden.

Aktives Dehnen

Beim aktiven Dehnen wird die Dehnposition durch eine Kontraktion der antagonistisch zur Zielmuskulatur wirkenden Muskeln eingenommen – Dies bedeutet, dass er Gegenspieler zu einem Muskel angespannt wird, um den Zielmuskel dehnen zu können.

Vorteil des aktiven Dehnens ist, dass die Dehnung durch eine Kontraktion der Antagonisten eingenommen wird und zu deren Stärkung beitragen kann. Ein Nachteil dieser Dehnmethode ist, dass nicht jeder Muskel durch aktives Dehnen ansprechbar ist. Außerdem können abgeschwächte Muskelgruppen (zum Beispiel bei Anfängern) die aktive Dehnung einschränken.

Passives Dehnen

Beim passiven Dehnen wird die Dehnposition durch externe Faktoren oder Hilfsmittel, zum Beispiel mit einem Partner, mit Hilfe der Schwerkraft oder mit Hilfe der Kraft nicht antagonistisch wirkender Muskeln, eingenommen. Der Vorteil der passiven Dehnung ist die einfache Anwendung. Auch Anfänger können die passive Dehnmethode anwenden. Außerdem ist jeder Muskel passiv ausreichend dehnbar.

Statisches Dehnen / Stretching

Beim sogenannten Stretching wird die Dehnposition langsam eingenommen und an ihrem Maximum für eine bestimmte Zeit, meist 30 – 90 Sekunden, gehalten. In dieser Endposition findet keine Bewegung statt.

Statisches Dehnen ist eine sehr effektive Methode, um langfristig Anpassungen der Beweglichkeit zu erzielen, da sich das Gewebe dauerhaft an die neue Länge anpasst – Sofern du es regelmäßig und progressiv durchführst.

Es kann sowohl aktiv als auch passiv erfolgen. Ein Vorteil für Anfänger ist, dass durch das langsame Einnehmen der Dehnposition Muskeldehnreflexe so weit wie möglich reduziert werden und damit das Verletzungsrisiko minimal ist.

Dynamisches Dehnen

Beim dynamischen Dehnen wird die Dehnposition im Wechsel eingenommen und wieder verlassen. Durch leicht federnde Bewegungen innerhalb einer möglichst maximalen Gelenkendstellung wird der Muskel gedehnt. Die Bewegung sollte langsam, kontrolliert und mit einer relativ kleinen Bewegungsamplitude durchgeführt werden. Wichtig ist, dass keine schwungvollen oder ruckartigen Bewegungen erzwungen werden.

Dynamisches Dehnen ist besonders gut, um die Strukturen und Muskeln des Körpers aufzuwärmen und kurzfristig die Beweglichkeit zu erhöhen. Allerdings hat es weniger Einfluss auf die langfristige Anpassung der Beweglichkeit.

Dehnen vor dem Training – Das solltest du vermeiden!

Wenn wir vom Dehnen vor dem Krafttraining sprechen, sollte zunächst die Frage geklärt werden, warum und in welchen Situationen das für dich überhaupt notwendig wäre. Dazu werfen wir also zunächst einen Blick auf die wichtigen Ziele eines Warm-Ups:

  • Erhöhte Herzfrequenz (Mehr Blutfluss)
  • Erhöhung der Körpertemperatur
  • Mehr Leistung
  • Weniger Verletzungen
  • Verbesserte Sauerstoffverfügbarkeit im Muskel
  • Optimierte Aktivierung der Muskeln (Ansteuerung)

Wenn du gar kein Aufwärmen durchführst, kann der Großteil der Effekte nicht erzielt werden. Falls du jedoch zu viel vor deinem Training absolvierst, mindert sich eventuell die Leistung und du bist vorermüdet. Ziel für dich sollte demnach sein, das richtige Maß und die richtige Methode zu finden. Genau hier kommt für viele Personen das Dehnen ins Spiel. Doch was kannst du dir davon erhoffen und was schadet dir vielleicht sogar?

Kein statisches Dehnen vor dem Training!

Die Studienlage hierzu hat sich in den letzten Jahren sehr stark gegen ein statisches Dehnen – Also das Halten der Dehnposition für 30 bis 60 Sekunden – vor dem Krafttraining verstärkt. Das hat im Kern zwei Gründe:

1. Verringerte Leistung

Eine Bildliche Erklärung hilft dir eventuell beim Verstehen der Begründung. Deine Muskeln funktionieren im einfachen Sinne ähnlich wie ein Gummiband. Sie können sich in die Länge ziehen und kommen anschließend aber wieder in die Ausgangssituation zurück. Das ist tatsächlich ein wichtiger Bestandteil deines täglichen Krafttrainings und wird als sogenannter Stretch-Reflex-Effekt bezeichnet. Wenn du beispielsweise Bankdrücken ausführst und die Langhantel langsam zu deiner Brust herablässt, lädt sich dein Muskel mit „Spannung“ auf – Das bildliche Gummiband wird gedehnt. Diese gespeicherte Kraft in Muskeln, Sehnen und Bändern kannst du dann mit einer explosiven Aufwärtsbewegung wieder herauslassen. 

Dehnst du nun deine Muskeln vor dem Krafttraining, verliert er für einen bestimmten Zeitraum diese Fähigkeit – Das kennst du auch vom Gummiband. Wenn du es zu sehr dehnst, verliert es an Kraft. Dieser Effekt hält beim Muskel wenige Stunden an, beeinflusst aber somit direkt deine Leistungsfähigkeit im Krafttraining.

2. Gesteigerte Verletzungsgefahr

Eine verringerte Leistung könnte man natürlich in Kauf nehmen. Der eben erklärte Aspekt spiegelt sich aber leider auch in einer gesteigerten Gefahr für Verletzungen wider. Denn neben der Gummiband-Erklärung sind es auch vor allem die Befestigungen der Muskeln, welche problematisch sein können. Die Enden der Muskeln sind über Sehnen und Bänder an Gelenken und Knochen befestigt. Beim Dehnen werden diese Verbindungspunkte ebenfalls gedehnt. Dadurch sind sie weniger stabil und demnach anfälliger für Verletzungen. Das solltest du  bestenfalls vermeiden.

Dynamisches Dehnen vor dem Training

Wenn du dich vor dem Training dehnen möchtest, solltest du stets zu einer dynamischen Dehnmethode greifen. Dadurch entfallen die zuvor genannten Nachteile, da der Muskel sowie die passiven Strukturen nicht lang genug in der maximalen Endposition sind. Zudem ergeben sich aus dem dynamischen Dehnen noch folgende Vorteile:

  • Kann sehr spezifisch eingesetzt werden
  • Ähnelt dem Krafttraining, denn dort befindest du dich auch in wiederholender Dehnposition
  • Aktive Bewegung sorgt für gesteigerte Körpertemperatur sowie Herzfrequenz
  • Stretch-Reflex-Effekt kann sogar möglicherweise verbessert werden

Du erfüllst damit also einen Großteil der oben genannten Ziele eines Warm-Ups. Also genau das, was du vor einem Training erreichen möchtest. Zudem kannst du nun mit dem dynamischen Dehnen gezielt deine Bewegungseinschränkungen ausgleichen. 

Falls du beispielsweise akut zu unbeweglich bist, um eine tiefe Kniebeuge auszuführen, kannst du dies für dein Training anpassen, indem du ein spezifisches Mobility-Programm mit dynamischem Dehnen kombinierst. 

Nach dem Training Dehnen für die Regeneration?

Ein Krafttraining sorgt dafür, dass deine Muskeln auf kleinster Ebene minimal zerstört werden. Ziel ist es, dass sie sich bis zum nächsten Mal wieder stärker und größer aufbauen und reparieren. Wenn du nun nach dem Training noch ein intensives Dehnprogramm durchführst, kann dies zu einem verstärkenden Effekt der kleinen Muskelschäden kommen. Das ist nicht schlimm, kann aber die Regeneration sogar zum Teil eher verlängern.

Dem gegenüber stehen die Theorien, dass Dehnen die Durchblutung fördert und dadurch deinen Muskeln beim Regenerieren hilft.

Mit Hinblick auf die verschiedenen Sichtweisen können wir dir keine absoluten Empfehlungen für das Dehnen nach dem Sport aussprechen. Du solltest dir die Frage stellen, ob du überhaupt ein Dehnprogramm nach dem Training benötigst. Es bietet sich zeitlich zwar an, kann aber genauso gut Abends oder Morgens durchgeführt werden. Zudem entspricht ein gut durchgeführtes Krafttraining übrigens auch einer Art dynamischem Dehnen.

Denn wenn du die einzelnen Kraftübungen mit vollem Bewegungsumfang durchführst, werden deine Muskeln automatisch bei jeder Wiederholung gedehnt und in dieser Position sogar belastet – Das stellt die Grundlage für langfristige Anpassung dar. Das ist übrigens auch ein Grund, weshalb der Mythos, dass Krafttraining unbeweglich macht, kaum Daseinsberechtigung hat. Denn die Wahrheit ist: Gutes Krafttraining macht dich sogar beweglicher. 

Ich möchte langfristig beweglicher werde, was soll ich machen?

Wenn du als Ziel hast, dich und deinen Körper in einer gewissen Bewegung beweglicher werden zu lassen, ist Dehnen selbstverständlich dein bester Freund. Wie du bereits gelernt hast, bietet sich hier vor allem das statische Dehnen an. Wichtig ist aber auch der Zeitpunkt. 

  • Dehne dich am besten an trainingsfreien Tagen statisch
  • Du kannst an Trainingstagen die Muskeln dehnen, welche du an dem Tag nicht trainierst
  • Absolviere dein dynamisches Dehnen vor dem Training
  • Falls du Mittags trainierst, kannst du dich auch morgens oder Abends dehnen
  • Dehne dich nicht, wenn du bereits sehr starken Muskelkater hast
  • Regelmäßigkeit hilft dir zum Erfolg. Drei bis vier mal solltest du dich pro Woche dehnen
  • Wärme dich vor dem Dehnen auf und sei stets konzentriert und bedacht dabei

Mit diesen Grundregeln kannst du bereits tolle Erfolge erzielen. Wenn du mal etwas Neues ausprobieren möchtest, teste doch mal folgende praktische Kombination für maximale Effekte:

  1. Dehne deinen Muskel statisch für etwa 20 – 30 Sekunden
  2. Atme tief ein und aus und entspanne für etwa 5 Sekunden
  3. Halte nun erneut die statische Dehnposition für 20 – 30 Sekunden, versuch dabei jedoch, noch etwas weiter zu kommen 

Du wirst sofort merken, dass du sofort ein klein wenig an Beweglichkeit hinzugewonnen hast. Diese Art der Kombination kannst du für deine gezielten Muskelgruppen für 1 bis 3 Sätze durchführen. 

Regelmäßiges Dehnen bringt viele Vorteile mit sich und kann dazu beitragen, die Mobilität im Alltag beizubehalten und muskuläre Dysbalancen gar nicht erst entstehen zu lassen. Wenn dich das Thema über diesen Beitrag hinaus interessiert, findest du in der Personal Trainer Ausbildung tiefergehende Informationen dazu und lernst, wie du als Trainer deine Klienten durch „Assisted Stretching“ beim Dehnen unterstützen kannst.

Zusammenfassung zum Thema Dehnen

Du konntest hoffentlich sehr viel Neues lernen. Und die Frage: Vor oder nach dem training dehnen? Für dich beantworten.

Nachfolgend haben wir die wichtigsten Faktoren für dich noch einmal zusammengefasst:

  • Es gibt verschiedene Dehnmethoden, welche du je nach Zielsetzung anwenden kannst
  • Statisches Dehnen ist klasse, um langfristig beweglicher zu werden. Es eignet sich aber nicht vor deinem Training, da es deine Leistung verringert und deine Verletzungsgefahr erhöht
  • Dynamisches Dehnen sorgt für kurzfristige Anpassungen. Dadurch ist es aber perfekt vor dem Training geeignet
  • Nach dem Sport kannst du dich dehnen, solltest aber beachten, dass dies Muskelkater verstärken kann
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Schlagwörter:
Beweglichkeit Fitness-Tipps

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Ein Kommentar

Anonymous sagt:
5. März 2021

5 Sterne
Stabiler Beitrag!

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